Sonntag, 8. Januar 2017

Watership Down Kapitel 48: Dea ex Machina

Hier wagt Adams etwas, was durchaus gefährlich ist, wenn es nicht funktioniert, einen klaren Stilbruch. Es ist das einzige Kapitel, welches aus Sicht eines Menschen geschrieben ist, der kleinen Lucy Cane und beantwortet was aus Hazel wird. Der Kapitelname "Dea ex machina", bessser bekannt unter dem maskulinen "Deus ex machina" war ein Begriff aus dem antiken Theater und bezeichnete die Lösung des Konflikts durch einen Gott, welcher dafür aus einer extra hergestellten Maschine kam. In der Literatur ist Deus ex machina heute schon fast eher verpönt, denn er steht für Kreativlosigkeit und oftmals unrealistischen Begebenheiten, um die Heldengruppe doch noch aus einer ausweglosen Situation zu befreien. Wer kennt es nicht? Die Helden sind von Feinden umzingelt, welche schon die Pistole auf sie gerichtet haben, da taucht genau in dem Moment jemand anderes auf und schießt die feindliche Partei ab. Der Übereinsatz von Deus ex machina kann tödlich sein für den Spannungsbogen einer Geschichte. So wurde mir definitiv "Wheel of Time" und auch ein Stück weit "Harry Potter" verdorben. Bekommt Adams das hier besser hin? Auf jeden Fall.
Für die Einleitung verwendet Adams hierbei ein Zitat aus dem Werk Fern Hill des walisischen Schriftstellers Dylan Thomas, welcher Anfang des 20. Jahrhunderts lebte und sehr jung verstarb. Das Gedicht beschreibt eine Kindheitserinnerung auf einem Bauernhof, was perfekt auf die kleine Lucy passt.

Lucy Cane erwacht aus einem Traum, der nicht näher beschrieben wird und bildet sich ein, dass sie geweckt worden ist, weil sie den Hund hat bellen hören. Dann ist jedoch wieder alles ruhig und sie freut sich auf einen schönen Augusttag - in England sind gerade Ferien - und sie überlegt sich wie sie den Tag verbringen kann. Pilze wird es wohl noch keine geben, denn dafür ist es noch zu heiß. Doch schon bald wird es Herbst werden, das weiß sie und das bedeutet klamme Morgen und Spinnen in der Hecke. Sie erinnert sich dabei, wie sie einmal eine Spinne ihrer Lehrerin gezeigt hat und eine ihrer Mitschülerinnen vor dieser panisch im Bus geflohen ist. Daraus hat sie auch gleich einen kecken Reim gedichtet.
Es ist ein Donnerstag und das bedeutet Markttag in Newbury, wo ihr Vater mit Sicherheit hingehen wird. Außerdem kommt der Arzt, um ihre Mutter zu besuchen, welche krank im Bett liegt. Lucy mag den Arzt, weil er immer eine lustige Brille mit Pinzetten auf hat und sich immer mit ihr unterhält, wenn er da ist. Er ist jedenfalls ganz nett, wenn man ihn näher kennt, auch wenn er auf den ersten Blick verschroben wirkt.
Dann hört Lucy ein weiteres Geräusch, das Quiecken eines verängstigten Tieres. Lucy bringt nach draußen und sieht ihre Katze, Tab, welche ein Kaninchen in seiner Gewalt hat. Natürlich ist dieses Kaninchen Hazel und ihr könnt euch sicherlich denken, wer die "Dea ex machina" sein wird. Sie ruft nach Tab und fragt, was sie hat und die Katze blickt finster zu ihr auf, sodass sie erkennen kann, dass es keine Ratte, sondern ein Kaninchen ist. Blitzschnell rennt sie nach unten und versucht Tab von dem Kaninchen wegzuscheuchen. Dazu muss sie die Katze sogar treten und wird fast gekratzt, ehe diese mürrisch davonzieht. Anschließend nimmt Lucy das Kaninchen und geht wieder in das Haus. Hier haben wir also die "göttliche Rettung" Hazels. Ein kleines Mädchen, höchstens acht oder neun Jahre alt, welche aus Mitleid gehandelt hat. Es ist ein toller Moment, denn das erste Mal in diesem Roman werden die Menschen nicht als die unerklärlichen Monster dargestellt, welche sie für die Kaninchen sind, sondern als anständige Wesen, die aus Mitleid ein Kaninchen retten. Es ist irgendwie surreal, dass ausgerechnet ein kleines achtjähriges Mädchen Hazel rettet, die Hauptfigur des Romans mit der der Leser seit mehreren hundert Seiten durch dick und dünn gegangen ist, seine Anführerqualitäten, seine Abenteuer und Unternehmungen zu schätzen lernte. Ausgerechnet er ist am Ende auf eine kleine Bauerntochter angewiesen. Und zur Erinnerung für alle Feministen: die erste positiv dargestellte, menschliche Figur in Watership Down ist weiblich, aber der Roman ist ja so frauenfeindlich und sexistisch.
Hazel jedoch hält kaum ruhig in Lucys Griff. Als sie wieder in das Haus geht, wird sie von ihrem Vater getadelt, warum sie nur im Nachthemd nach draußen rennt, wodurch sie sich eine Erkältung einfangen kann und fragt was sie mit dem Kaninchen will. Wie alle Kinder entscheidet sie sich natürlich sofort ihn zu behalten, doch ihr Vater erklärt ihr, dass sie das nicht kann, weil es ein Wildkaninchen ist. Diese würden in Gefangenschaft sterben. Doch Lucy erklärt ihm, ihm gehe es nicht gut, weil die Katze ihn sich schon geschnappt hatte. Das findet ihr Vater nur toll, denn das ist auch die Aufgabe der Katze. Lucy will das Kaninchen jedenfalls dem Arzt zeigen, doch ihr Vater sagt dazu nur, der Arzt hätte Besseres zu tun, sie solle es besser ihm geben. Der Hampshire-Dialekt ist wirklich anstrengend an der Stelle und ich bin ganz froh, dass nur so selten Menschen auftauchen, weil es für einen Nicht-Muttersprachler wirklich schwierig zu verstehen ist. 
Der Vater könnte durchaus der gleiche sein, der Hazel auch angeschossen hat, was eine bittere Ironie wäre, wenn er jetzt Hazel schlussendlich doch töten würde. Lucy setzt jedoch die mächtigste Waffe eines jeden Kindes ein, sie weint. Sie versteht zwar, dass es richtig ist, jedoch will sie kein Kaninchen kaltblütig umbringen. Zumindest dem Arzt kann sie es zeigen, denn der nimmt sich immer die Zeit die Dinge zu betrachten, die sie ihm mitbringt, sei es ein Ei eines Goldfinks, ein Schmetterling oder ein spezieller Pilz. In der Hinsicht behandelt er sie sehr erwachsen und so würde er wohl auch das Kaninchen betrachten. Deshalb sagt sie zu ihrem Vater, sie will das Kaninchen ihm nur zeigen und sonst nicht weiter wehtun. Ihr Vater ist letztendlich einverstanden, denn er ist stolz darauf, wie Lucy mit dem Arzt umgeht. Noch dazu ist sie sehr intelligent und wird auch bald auf eine höhere Schule kommen. Der Arzt hat ihr außerdem erklärt, dass sie sehr sensibel ist, was solche Dinge wie das Kaninchen anbelangt. Hauptsache sie lässt es gehen.
Ihr Vater sagt zu ihr, sie solle sich anziehen und das Kaninchen irgendwo unterbringen. Am besten in dem alten Käfig in der Hütte, wo sie auch ihre Stallkaninchen immer aussetzt. Ich frage mich, ob Lucy dem Kaninchen immer noch so freundlich gegenüber wäre, wenn sie wüsste, dass ausgerechnet dieses dafür verantwortlich, dass sie nur noch eines hat. Sie zieht sich also an, setzt Hazel in einen Schrank und geht den Käfig holen. Auf dem Rückweg fragt ihr Vater, ob sie weiß wo Bob ist. Sie stellen schnell fest, dass er sich losgerissen hat und Lucys Vater schiebt das darauf, dass das Seil so alt war, doch er hätte trotzdem nicht gedacht, dass sich der Hund hätte losreißen können. Sollte Lucy ihn wiederfinden, soll sie das Seil besonders straff festziehen. Lucy wird das machen, für den Moment will sie jedoch das Frühstück zu ihrer Mutter hochbringen, was ihren Vater sehr freut.
Der Arzt Doktor Adams erscheint 10 Uhr. Und ja ich denke, es kann gesichert gesagt werden, dass es wirklich Richard Adams' Vater Evelyn Adams ist, welcher hier ein Cameo hat. Die Indizien dafür sind eindeutig. Sein Vater war Landarzt in der Gegend und in der Einleitung betont Adams, dass die Canes inklusive Lucy erfundene Personen sind, der Arzt jedoch nicht. Er parkt jedenfalls außerhalb des Hofes, was Lucy verwundert. Im Schlepptau hat er Bob, den Labrador. Dieser scheint mit irgendetwas gekämpft zu haben, was ihn verletzt hat, denn seine Nase ist zerkratzt und jemand hat in sein Vorderbein gebissen. Da Woundwort mit ziemlicher Sicherheit als einziges Lebewesen in Frage kommt, hat dieser also versucht den Hund auf die gleiche Weise anzugreifen wie Bigwig ihn. Es bleibt offen, ob der Hund Woundwort töten konnte, jedoch konnte Woundwort zumindest den Hund verletzten, was für ein Wildkaninchen schon sehr beachtlich ist.
Doktor Adams jedenfalls denkt es wäre eine große Ratte oder vielleicht ein Hermelin, zumindest etwas gegen das Bob kämpfen wollte und welches sich gewehrt hat. Dann berichtet Lucy ihm von dem Wildkaninchen. Doktor Adams will es sich anschauen, sobald er nach Lucys Mutter gesehen hat. Dieser kann bei dem Kaninchen jedoch nichts Schlimmes feststellen, obwohl er auch die Schusswunde entdeckt und das Hazel mit dem Hinterlauf Probleme hat. Die Katze hat ihn zwar gekratzt, doch auch nicht tief. Hazel wird aus der ganzen Sache ohne Probleme herauskommen. Lucy fragt unsicher, ob es richtig wäre ihn hier zu behalten und auch Doktor Adams meint, es wäre keine gute Idee, denn in einer Stallbox würde er nur rauswollen und wenn das nicht passiert, schon bald wieder sterben. Am besten ist es, sie lässt ihn laufen. Lucy kann es jedoch nicht hier freilassen, denn ihr Vater würde dagegen sein, da er immer sagt, wo ein Kaninchen ist, da sind bald hunderte.
Doktor Adams hat einen anderen Vorschlag für sie. Er hat heute noch ein Termin in Cole Henley (ironischerweise der Ort, wo Woundwort eine zeitlang aufgewachsen ist) und könnte sie mitnehmen. Auf dem Weg dahin könnten sie das Kaninchen bei den Downs freilassen. Lucy muss nur ihre Mutter nach Erlaubnis fragen.
Später am Tag hält der Arzt zwischen Watership Down und Hare Warren Down an und meint hier wäre eine gute Stelle, weil es hier kaum Schaden anrichten könnte. Ich weiß nicht, ob Doktor Adams das noch immer sagen würde, wenn er wüsste was Hazel alles angerichtet hat bisher. Sie gehen ein kleines Stück und Lucy setzt Hazel dann ins Gras. Nach nur einem kurzen Moment hoppelt er sofort weg. Doktor Adams sieht sich bezüglich des Hinterlaufs bestätigt, doch er meint auch es könne noch viele Jahre leben, denn es wäre ein echtes Wildkaninchen, geboren unter einer Dornenhecke.

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