Sonntag, 11. Juni 2017

Braucht wirklich jedes gute Buch eine Fortsetzung? The Tales of Watership Down

Ohne Frage ist Watership Down zum einem der Meilensteine der englischen Literatur geworden und gilt zurecht als Klassiker. Recht wenig überraschend ist es daher, dass Richard Adams - der nie wieder an den Erfolg seines Erstlingswerks anknüpfen konnte - sich auch dem Fortsetzungwahn hingegeben hatte, der besonders die Filmindustrie zu dominieren scheint. Es stellt sich dabei die leidige Frage: Braucht Watership Down überhaupt eine Fortsetzung?
Im Falle von Tales from Watership Down ist die Frage jedoch falsch gestellt, besser wäre ist Tales überhaupt eine Fortsetzung? Schon das ist zweifelhaft, denn der Aufbau des Buches erinnert eher an eine Kurzgeschichtensammlung alle mit dem thematischen Schwerpunkt Watership Down und deren Kaninchen. Adams hat dazu das Buch in drei Teile untergeteilt. In den ersten beiden Teilen werden dabei nur weitere Geschichten von El'ahrairah erzählt, dem legendären Helden der Kaninchen, welcher mit seiner List und seinen pfiffigen Ideen ein Vorbild für alle Kaninchen ist, die in einer gefährlichen Welt überleben wollen. Tatsächlich handelt erst der dritte Teil des Buches davon, was mit Hazel, Fiver und Bigwig nach Woundworts Angriff auf Watership Down noch passiert ist. Eine übergeordnete, stringente Handlung gibt es also im Prinzip nicht und das wird noch deutlicher anhand der einzelnen Teile.

Teil 1

In Teil 1 erzählen sich die Kaninchen von Watership Down, hauptsächlich Dandelion, der schon als Geschichtenerzähler bekannt ist, und Bluebell sowie einige andere noch weitere Geschichten von El'ahrairah. Insgesamt sind es fünf Stück. Unter anderem geht es darum, wie der gewitzte Kaninchenfürst seinen langohrigen Freunden die Gabe des Riechens beschafft; es wird die Frage beantwortet warum er nicht zu altern scheint im Laufe seiner Geschichten; wie er mit einem hartnäckigen Widersacher fertig wird; zudem wird endlich geklärt was es mit der schon in Watership Down angekündigten Geschichte mit dem Fuchs zu tun hat und abschließend erkennt El'ahrairah was Wahnsinn bedeutet.
Für jeden, der diese Geschichten schon in Watership Down ermüdend fand, gibt es hier natürlich nichts Neues und der wird diesen ersten Teil (und auch den zweiten) eher als Zeitverschwendung betrachten. Jedoch gefiel mir durchaus wieder die Pfiffigkeit und Klugheit sowie die Entschlossenheit mit der El'ahrairah bereit ist seinem Volk zu helfen oder ein scheinbar unerreichbares Ziel zu schaffen. Adams übertreibt hier jedoch etwas, denn es tauchen Wesen auf von denen europäische Kaninchen nichts wissen dürften wie Bisons aus Amerika oder Gazellen. Interessant sind jedoch die Konzepte, welche Adams hier in dem Raum wirft. So gibt es einen "King of Yesterday", welcher Herrscher über alle Tiere ist, die vom Menschen ausgerottet worden sind. Auch das Gleichnis mit den drei Kühen war interessant sowie weitere Erklärungen, warum gewisse Tiere gewisse Eigenarten besitzen. Nicht oft steckt da El'ahrairah dahinter.
Jedoch enthält es auch einige sehr verstörende Szenen. So badet El'ahrairah in der Milch im Inneren einer Kuh und wird dann von einem Kalb durch den Euter herausgesäugt. An anderer Stelle lässt er nacheinander eine Katze, Ameisen, Krähen und sogar einen Fluss in seinem Ohr. Mit diesen tötet er dann gewisse Tiere, um sich einen Rivalen vom Hals zu halten. Besonders verstörend waren dabei die Ameisen, welche in die Ohren von Hermelinen kriechen und deren Gehirne anfressen, bis sie tot sind. Auch die letzte Geschichte als El'ahrairah schwer verwundet erkennt was Wahnsinn bedeutet, ist nicht ganz ohne.
Abgerundet wird der erste Teil mit einer traurigen Geistergeschichte eines der ehemaligen Efrafa-Kaninchens, die mir wirklich naheging, weil er hier sieht, wie zunächst ein Junge ein Kaninchen quält und dann gezwungen ist zu beobachten, wie Männer einen Kaninchenbau mit der Weißen Blindheit (der Myxomatose) anstecken, indem sie ein infiziertes aber noch lebendes Kaninchen vor den Bau legen. Dann darf Speedwell noch eine Nonsens-Geschichte erzählen, die wohl zeigt, dass auch Kaninchen nicht nur hochtrabende, moralisierende oder inspierende Geschichten kennen, sondern auch Ulk erzählen können wie wir.

Zweiter Teil

Auch der Zweite Teil dreht sich nur um El'ahrairah. Hier werden im Speziellen vier Geschichten als er von dem Schwarzen Kaninchen von Inlé zurückkehrt. So begegnen er und sein Freund Rabscuttle zunächst einem alten Kaninchen, welches sie in ein Heckenlabyrinth führt, wo sie fast von einem Monster getötet werden. Das Wesen bleibt unsichtbar, sodass es der Fantasie des Lesers überlassen bleibt, um was für eine Kreatur es sich dabei handelt.
Anschließend kommen die beiden zu einem Kaninchenbau, der sicher ist bis zu dem Tag als sie von einem hlessil-Kaninchen zu hören bekommen, dass tausende von Ratten auf dem Weg zu ihnen sind. Es bleibt ihnen nur ein Weg zur Flucht, durch einen unwegsamen Sumpf. Die Durchquerung fordert El'ahrairah jede Geduld ab, die er hat, doch auch hier ist er erfolgreich. 
In der nächsten Geschichte fordern diese Kaninchen die Geduld der Menschen heraus, in dem sie sich nahe eines Bauernhofs ansiedeln und immer mehr dem Menschen zur Plage werden. Sie fressen aus dem Gemüsegarten, nagen die Kirschbäume und zum Abschluss gibt es noch eine sehr verstörende Szene. Vier dieser Kaninchen greifen eine Katze an und töten sie auf brutale Art und Weise. Das ist dann genug für die Menschen, sie entwickeln eine raffinierte Methode, um alle Kaninchen umzubringen. El'ahrairah und Rabscuttle, die  die anderen Kaninchen immer wieder warnen, können geradeso noch rechtzeitig fliehen.
In ihrem letzten Abenteuer müssen die beiden einen dichten Wald durchqueren und benötigen dazu die Hilfe eines Dachses. Der will sie jedoch nur durchlassen, wenn sie ihm Futter bringen. Das machen sie auch tagtäglich, indem sie nach Würmer suchen oder Mäuse und Ratten für ihn fangen. Dadurch machen die beiden sich schnell unbeliebt bei all den anderen Tieren, weil sie als Sklaven des Dachses gesehen werden. Schließlich können sie ihn geschickt überlisten, als sie die Leiche eines Mannes finden und den Dachs dort hinlocken. Als andere Männer kommen, flieht der Dachs und zeigt ihnen dabei unbeabsichtigt den Weg aus dem Wald.
Alles in allem sind diese Geschichten etwas näher an den El'ahrairah-Geschichten von Watership Down. Ob sie für das Verständnis wichtig sind, ist jedoch dem Leser überlassen. Jeder, der die Geschichten nicht braucht, kann wirklich gleich mit dem dritten Abschnitt anfangen.

Dritter Teil

Erst dieser Teil setzt die Ereignisse rund um Hazel, Fiver und Bigwig wieder fort. Auch dieser Abschnitt hat keine durchgehende, übergeordnete Handlung, sondern ist episodenhaft. Die ersten drei Kapitel bilden dabei die längste Erzählung. Drei der Weibchen aus Efrafa Vilthuril, Thethuthinnang und Hyzenthlay berichten davon, wie sie durch eine geheimnisvolle Kraft in Efrafa von der Existenz eines anderen Baues gehört haben, der von zwei Weibchen als Oberkaninchen geführt wird. Dort lief alles gut, bis eines Tages ein Fremder kam, der die Weiße Blindheit hatte und sich mit einem Weibchen paarte. Das eine Oberkaninchen Flyairth verbannte daraufhin das schwangere Weibchen aus Furcht, der ganze Bau könnte angesteckt werden. Dieses Weibchen Milmown bekommt jedoch seine Jungen und versucht wieder aufgenommen zu werden mit seinem Nachwuchs. Dabei wenden sich die anderen Kaninchen gegen Flyairth und schaffen es schließlich sie zu verdrängen. Flyairth kommt zufällig nach Watership Down und bleibt dort dem Winter über, der sehr hart ist für alle Kaninchen.
Nach dem Winter überlegen Hazel und Bigwig was mit ihr zu machen ist, denn sie hat die gleichen Ängste wie in ihrem alten Gehege, nämlich das Watership Down von der Weißen Blindheit angesteckt wird. Ehe sie jedoch größeren Ärger machen kann, geht sie fort und nimmt einige Weibchen mit sich, um irgendwo anders ein neues Gehege zu gründen. Dem Beispiel folgend ein weibliches Oberkaninchen zu haben, ernennt Hazel Hyzenthlay auch zum Oberkaninchen.
Mir scheint es, als ob Adams mit der Geschichte der feministischen Kritik begegnen wollte, welche Watership Down abbekommen hatte bezüglich der Rolle der weiblichen Kaninchen als reine Gebärmaschinen. Ich habe bereits in meinen Kapitel-Reviews ausreichend dargelegt warum das im Grunde vollkommener Unsinn ist. Adams sah sich anscheinend dennoch dazu genötigt auch dieser Form der Kritik zu begegnen, was er in meinen Augen jedoch nicht hätte machen brauchen, denn die deutliche Mehrheit an Leser preist Watership Down bis heute als ein großartiges Buch, ohne sich an seltsamen Gender-Debatten zu stoßen, welche Kaninchen vollkommen fremd sein dürften. Zumindest jedoch bieten diese Geschichten einen interessanten Zwischenkonflikt, auch wenn ich ihm nicht mehr abgewinnen kann als den Versuch irgendwelchen Feministen, die sowieso kein Mensch kennt, nach dem Mund zu reden.
Die letzten Erzählungen behandeln dann jeweils die Einzelschicksale bestimmter Kaninchen. So gibt es einen jungen Rammler mit Namen Sandwort, der ein richtiger Unruhestifter ist, sich gegen die Älteren auflehnt und immer wieder Jüngere auf Wanderungen mitnimmt, wo einmal sogar ein Weibchen verlorengeht, ohne das es ihn jedoch kümmert. Eines Tages begeht er jedoch einen großen Fehler und wird von einem Hund in ein Betonbecken gejagt, wo er nicht mehr herauskommt. Als auch Hazel und die anderen ihn entdecken, merken sie schnell, dass es keinerlei Hoffnung gibt, ihn da rauszuholen und müssen sich mit dem Gedanken abfinden, dass er langsamen Hungertod sterben wird. Ähnlich wie jedoch Hazel kommt auch ihm das Deus-ex-machina durch drei Kinder zu Hilfe, die ihn dort finden und wieder raussetzen. Mir wirkte diese Geschichte eher wie ein Aufguss der Rettung Hazels durch Lucy.
Interessanter ist da schon eine andere Geschichte, wo ein Rammler nach Watership Down kommt, welcher vorher bei den Menschen gelebt hat und aufgrund seines Geruchs Aggressionen bei den anderen Kaninchen hervorruft, die ihn töten wollen. Hazel versucht ihn zu schützen, doch das führt bald dazu, dass seine eigene Machtposition gefährdet ist, da ihn niemand als Anführer akzeptieren will, wenn er dieses Kaninchen bei sich lässt. Fiver hat die Antwort darauf und es wieder interessant zu lesen, wie sich die Problematik bezüglich dieses Kaninchens letztendlich löst.
In der letzten Geschichte geht es um Campion, der immer noch voller Bewunderung ist für die Weiten Patrouillen, welche Woundwort in Efrafa eingeführt hatte. Es verlangt ihn danach solche Weiten Patrouillen auch in Zunkunft zu unternehmen, jedoch will er niemanden dazu zwingen. Da keiner aus Efrafa will, nimmt er Freiwillige aus dem neuen Gehege zwischen Watership Down und Efrafa, Vleflain. Er legt sich fast mit dem dortigen Oberkaninchen Groundsel an, den er als ehemaligen Offizier Efrafa einfach nicht akzeptieren kann als Oberkaninchen. Hier jedoch interveniert Fiver und er hat die Idee, er solle Kaninchen von Watership Down wählen. Das klappt so gut, sodass Campion - ähnlich wie Woundwort, jedoch deutlich positiver - zu einer lebenden Legende wird bei den Kaninchen. Ich fand den letzten Abschnitt auch am besten, da mir Campion schon in Watership Down am positivsten aller Efrafas in Erinnerung geblieben ist und er so auch zu Ruhm kommt, den er in meinen Augen durchaus verdient hat.

Fazit

Man sollte definitiv keine richtige Fortsetzung erwarten, sondern eher eine Kurzgeschichtensammlung. Wenn einem die Geschichten um El'ahrairah gefallen haben, kommt man hier definitiv auf seine Kosten, sonst sind knapp zwei Drittel des Buches eher überflüssig.
Die Geschichten rund um Watership Down sind auch interessant, ihnen fehlt jedoch eine übergeordnete Handlung um wirklich von größerem Interesse zu sein. So erleben die Kaninchen noch einige weitere Abenteuer, die für Kaninchen typisch wären, doch man merkt deutlich, dass dem ersten Teil einfach nicht das Wasser gereicht werden kann. Die Suche nach Watership Down und der Kampf gegen Efrafa sind das große Ereignis gewesen, in der es um die Existenz aller beteiligten Kaninchen ging. Tales from Watership Down erzählt lediglich kleinere Episoden aus dem Alltag ohne dabei jedoch das Feeling aus Watership Down zu zerstören.