Montag, 21. November 2016

Watership Down Kapitel 1: The Notice Board

Jedes Kapitel von Watership Down beginnt mit einem Zitat aus einem bekannten Werk, welches sich auf den Inhalt des Kapitels bezieht. Hier ist es ein kurzer Auszug aus dem Drama Agamemnon von Aischylos. Hierbei geht es um die Seherin Kassandra, welche ein schreckliches Unheil voraussieht - "The House reeks of death and dripping blood" jedoch vom Chor missverstanden wird.
Kassandra war in der griechischen Mythologie eine Seherin, die großes Unheil voraussehen konnte, jedoch von den Göttern so verflucht war, sodass niemand ihre Vorhersagen ernst nahm. Und tatsächlich begegnen wir hier mit einem Fiver einer "Kassandra" und haben noch vor dem ersten Satz eine direkte Verbindung zwischen Watership Down und der griechischen Mythologie. Biblische und mythologische Themen aus bekannten Sagen, Fabeln und Geschichten werden noch sehr oft auftauchen, wie sich zeigen wird.

"The primroses were over."
Große Klassiker und Romane definieren sich oft schon durch ihren ersten Satz und erlangen so eine bestimmte Bekanntheit. Der erste Satz sollte bereits den Leser in den Bann ziehen, nicht zu banal sein, auch nicht zu übertrieben, sondern eine gewisse Neugier wecken. So ist es auch hier. Diese einfache Phrase hier wirkt zunächst banal, und seine Bedeutung wird erst mit dem Schluss des Buches deutlich. So gesehen bleibt hier nur eine vage Symbolik übrig. Es bezeichnet den Ende eines gewissen Abschnittes und Vergängliches. Selbst das Sterben ist hier in gewisser Weise schon mitenthalten, wenn wir den weiteren Abschnitt genauer betrachten. Jedoch genug zum ersten Satz.

Adams verzichtet größtenteils auf eine klassische POV-Sicht und nimmt die Rolle eines allumfassenden Erzählers ein. So wir die idyllische Landschaft an einem Maiabend nicht aus Sicht der Kaninchen erzählt, sondern wie wir Menschen eine solche Gegend betrachten würden. Wir werden nicht direkt mit der Kaninchenperspektive konfrontiert, sondern wie ein Naturwissenschaftler führt uns Adams an die Protagonisten heran. So wird die Hauptfigur Hazel als ein Outskirter beschrieben - ein einjähriges Kaninchen, welches noch an Gewicht zulegt und aufgrund seiner Größe und Stärke am Rande des Baus lebt. Schnell wird deutlich, dass in einem Kaninchenbau Rangordnungen nach Größe und Stärke bestehen und schwächere Kaninchen ausgegrenzt werden. Ein weiteres Beispiel bekommen wir noch zu lesen, wenn Fiver die gefundenen Schlüsselblumen der Owsla überlassen muss.
Auch weiterhin bleibt Adams in der Perspektive des Wissenschaftlers, wenn das kleinere der beide Kaninchen hervorkommt und schließlich durch ein Gespräch zwischen zwei anderen Kaninchen sein ungewöhnlicher Name erklärt wird. In einer Fußnote merkt Adams an, dass Kaninchen nur bis vier zählen können. Ob das wirklich auf ernsthaften wissenschaftlichen Studien basiert, vermag ich nicht zu sagen, ich halte jedoch eine solche Annahme für höchst unwahrscheinlich, dass sie auf festen Fakten basiert. Adams beruft sich dabei auf ein Werk von Ronald Lockley The Private Life of the Rabbit. Jener Lockley hat das Verhalten von Kaninchen intensiv studiert, unter anderem auch ihr Zusammenleben in den unterirdischen Bauen, welches für den Menschen nicht so einfach einzusehen ist. Lockley gelang das mittels Glasscheiben. Somit basieren Adams' Überlegungen auf durchaus fundierten wissenschaftlichen Aussagen, doch auch wenn die Kaninchen in dem Roman immer Kaninchen bleiben, so ist eine gewisse Vermenschlichung doch nicht ganz zu vermeiden. 
Um zurück auf das Zählen zu kommen: es ergibt Sinn, da Kaninchen genau vier Pfoten haben. Alles darüber hinaus geben sie als Hrair an, was eine Menge bedeutet. Hier haben wir auch den ersten Beleg für die Kaninchensprache, welche Adams nur in Teilen verwendet. Es wird sehr deutlich, dass sich die Kaninchen nicht in Englisch unterhalten, sondern in Lapine. Der Einfachheit halber verwendet Adams natürlich trotzdem größtenteils Englisch und nur einige signifikante Begriffe werden in Lapine geschrieben. Selbst Tolkien hat darauf verzichtet seine Werke allein in fiktiven Sprachen zu verfassen oder seine Protagonisten so reden zu lassen. In der einen Fußnote jedenfalls werden bereits zwei Begriffe erklärt. Das schon genannte Hrair und Elil, welches die Feinde der Kaninchen bezeichnet. Diese sind so zahlreich, sodass sie als U Hrair "Die Tausend" bezeichnet werden. Ähnlich wie im Griechischen das myrioi steht wohl auch hier das U Hrair nicht für die genaue Zahl Tausend, sondern ist ein Synonym für viele.
Fiver jedenfalls, das kleine junge Kaninchen, heißt Hrairoo "Kleines Tausend", ein Name, der sich nur daher leitet, weil er das fünfte Kaninchen im Wurf gewesen ist und mit Abstand das kleinste, wofür Adams den Begriff "runt" gebraucht, was im Deutschen einem zurückgebliebenen Jungtier entspricht. Dementsprechend ist Fiver sehr ängstlich und wird von den anderen Kaninchen eher belacht, was wir an dem Dialog zwischen Buckthorn und Blackberry erkennen können. Selbst vor Hummeln erschreckt er sich, welche für Kaninchen eigentlich harmlos sind.

Kurz zu den Namen der Kaninchen: Ein großer Teil von ihnen ist nach Pflanzen benannt. Der Protagonist Hazel, natürlich nach der Haselnuss. Wir lernen hier bereits Buckthorn kennen, was im Deutschen Kreuzdorn bedeutet und Blackberry, die Brombeere. Fiver ist hier eine der Ausnahmen, denn sein Name bezieht sich deutlich auf seine Herkunft als fünftgeborenes Junges. Andere Kaninchen werden später auch nach ihrem Fell benannt, wodurch einige Zungenbrecher herauskommen. Mit der Benennung nach Pflanzen wird womöglich ihre enge Verbindung zur Natur deutlich hervorgehoben, vermutlich weil sich Kaninchen überwiegend von diesen Pflanzen ernähren.

Hazel und Fiver entfernen sich von den meisten anderen Kaninchen, wodurch sehr deutlich wird, dass sie sich eher als Außenseiter der Gruppe definieren. Bei Fiver ist es jedoch noch etwas anderes, er spürt, dass irgendwas mit dem Bau am heutigen Abend seltsam ist. Hier wird somit Fivers seltsame Begabung bereits angedeutet, Visionen von der Zukunft zu haben, denn zuvor wurde der Abend als perfekte Idylle beschrieben ohne das irgendein Feind die Kaninchen bedroht.
Fiver deutet zuvor noch sein anderes Talent an, das Finden von Schlüsselblumen. Er wird jedoch sofort von zwei Kaninchen daran gehindert, die größer und stärker sind als Hazel und Fiver. Wir erfahren hier was eine Owsla ist und das Schlüsselblumen nur für Mitglieder dieser bestimmt sind. In einer Fußnote erfahren wir mehr über die Owsla, eine Art Kriegerkaste, welche jedoch vielfältige Aufgaben übernehmen kann: Nahrungsbeschaffung, Herstellung der Ordnung, Patrouillieren. In dem hiesigen Gehege - von welchem wir hier das erste Mal den Namen erfahren: Sandleford Warren - ist die Owsla eher militärisch. Ob es wirklich in Kaninchengehegen eine Art Kriegerkaste gibt, halte ich auch für eher unwahrscheinlich. Die Owsla gibt jedoch hier einen Beweis ab, dass in Sandleford Warren das Recht des Stärkeren gilt, die Owsla privilegiert ist und schwächere Kaninchen sich den Geboten der Owsla zu beugen haben, in diesem Fall in dem sie gutes Fressen abgeben müssen.
Es wird bereits deutlich, dass Hazel mit dem System unzufrieden ist und daran etwas ändern möchte, sobald er in der Owsla ist und Outskirters nicht schlecht behandeln wird. Hazel überlegt sogar dem Bau komplett Lebewohl zu sagen. Mit Hazel haben wir hier also schon einen gewissen Idealisten. Er verspricht sich um seinen kleineren Bruder zu kümmern, wenn er in der Owsla ist und die aktuellen Zustände zu verbessern. Für den Moment treibt es ihn un Fiver jedoch nur noch weiter weg von dem Gehege, sodass sie eine neue Entdeckung machen.

Ein Stück außerhalb des Geheges finden sie etwas Neues: eine Anschlagtafel, die in die Erde gelassen wurde. Ohne zu wissen, was auf dem Schild steht, wird seine Bedrohlichkeit bereits sehr gut angedeutet durch den langen Schatten, den es auf das Feld wirft und die Unbehaglichkeit, die es bei den beiden Kaninchen hervorruft. Dass die Tafel erst seit kurzem dort steht untermalt ein Hammer mit Nägeln und eine noch glimmende Zigarette. Als Fiver das bemerkt, verhält er sich plötzlich sehr seltsam und ist sich ganz sicher, dass etwas Furchtbares auf sie zukommen wird. Er sieht das Feld mit Blut bedeckt ("Oh, Hazel, look! The field! It's covered with blood!" und weiß, dass auch ihr Gehege davor nicht sicher sein wird. Hazel glaubt ihm zunächst nicht (wodurch der Bogen gespannt wird zu dem Eingangszitat) und denkt Fiver meint den Sonnenuntergang. Jedoch wird er selbst skeptisch, denn Fiver rennt nicht in die Deckung, obwohl das die logische Reaktion eines Kaninchen wäre, welches Gefahr wittert.
Schließlich kehren sie doch zum Gehege zurück, weil es schon dunkel wird, auch wenn Fiver nur widerwillig ihr Loch betreten will.

Obwohl die Kanichen erst einmal wieder verschwinden, lässt uns Adams dennoch bei dem Geschehen verweilen, betont noch einmal die Gefahr, welche von der Anschlagtafel ausgeht und enthüllt schließlich deren Inhalt: An der Stelle soll ein Baugelände für Wohnhäuser entstehen. In einer Kaninchenperspektive wären wir niemals in der Lage gewesen den Inhalt zu verstehen, für uns jedoch ergibt es perfekt Sinn, weshalb Fiver allen Grund hat so unbehaglich bei einer Anschlagtafel zu reagieren. Und hier wird auch der Umweltschützer Adams deutlich. Er hat uns zunächst diese perfekte Idylle beschrieben, einige Kaninchen bereits nähergebracht und deutet jetzt an, dass alles zerstört wird, weil der Mensch neues Bauland braucht. Eine sehr subtile Art, um zu zeigen wie sehr der Mensch die Natur zerstört.

Zum Abschluss noch kurz ein paar Worte zum Handlungsort. Watership Down und auch das hier genannte Sandleford Warren sind reale Orte in England und befinden sich in Hampshire, der Heimat von Richard Adams. Sandleford gehört dabei schon zu Berkshire, dem benachbarten Bezirk von Hampshire und ist eine sehr kleine Ortschaft (hamlet) südlich von Newbury, wo Adams auch geboren ist. Sutch & Martin ist selbstverständlich eine fiktive Firma, denn auch wenn die Lokalitäten alle real sind, so sind die wenigen Menschen alle fiktiv.
Schwieriger ist hingegen die zeitliche Einordnung. Ich würde vermuten, dass Watership Down in der Kindheit von Richard Adams spielt, was die späten 1920er und frühen 1930er umfassen würde.