Donnerstag, 27. Oktober 2016

Review: Mistborn (Brandon Sanderson)

Vor ungefähr zwei Jahren fing ich an Wheel of Time von Robert Jordan zu lesen, eine der bekanntesten Fantasy-Serien der Post-Tolkien-Ära, zumindest in den USA. Eingestellt hatte ich mich auf eine sehr lange, aber hoffentlich interessante Reihe, ich bekam stattdessen Streitigkeiten der Geschlechter auf Vorschulniveau, endlose Beschreibungen von Kleidung, einen seelenlosen RPG-Charakter als Hauptperson, nervige Völker mit völlig bescheuerten Ehrenkodizes, die mary-sueigste Prinzessin der Literaturgeschichte, coole Bösewichter, deren Potential jedoch überhaupt nicht ausgeschöpft wird und viele andere Dinge, die ich mittlerweile erfolgreich verdrängt habe. Warum ich überhaupt bis zum Ende gelesen habe, lag nur an zwei Dingen:
1. Ich beende normalerweise die Bücher oder Buchreihen, die ich angefangen habe, egal wie langweilig oder schlecht sie sind. In diesem Falle wurde mein Perfektionismus jedoch auf eine harte Probe gestellt.
2. Mich machte es neugierig wie eine Reihe ausgeht, deren letzten Bände nicht vom gleichen Autor geschrieben worden sind. Wer es nicht weiß: Robert Jordan starb 2007 an einer unheilbaren Blutkrankheit als sein Werk noch nicht beendet war. Seine Frau und Editorin erwählte den Fantasy-Autor Brandon Sanderson die Reihe zu vollenden.
Und Sanderson machte den Job überragend. Nicht nur sind die drei letzten Bände deutlich besser geschrieben, auch die Charaktere fühlen sich stärker wie echte Menschen an und auch die Spannung wird über mehrere Seiten aufrechterhalten. Grund genug also auch den eigenen Romanen von Brandon Sanderson eine Chance zu geben. So habe ich mich nach einigem Überlegen und Recherchieren für seine Mistborn-Reihe entschieden.
Der erste Band dieser Reihe mit dem gleichen Titel erschien 2006 und war der erste Roman von Sanderson nach seinem Erstlingswerk Elantris. In den folgenden Jahren kamen die beide Folgebände heraus. Jedoch ist Mistborn bereits in sich abgeschlossen und kann auch ohne Nachfolger als eigenständiges Werk für sich stehen. Hier folgt jetzt eine ausführliche Review zu dem Buch.
ACHTUNG: Ich halte wenig von spoilerfreien Reviews. Ich werde hier auf alle Ereignisse, die im Buch vorkommen Bezug nehmen, aber Spoiler zu anderen Werken kennzeichnen. Wer das Werk noch lesen und sich nicht den Spaß verderben lassen will sollte jetzt aufhören die Review zu lesen!


Inhalt

Die Handlung findet in einer typischen Fantasy-Welt statt, welche als Final Empire (da ich nur das englische Original gelesen habe, verwende ich bei solchen Eigennamen auch die englischen Titel) bezeichnet wird. Regiert wird das ganze Reich von einem Lord Ruler, welcher unsterblich ist und bei seinen Leuten den Status eines Gottes erreicht hat. Ursprünglich war er als ein Auserwählter dazu bestimmt die Menschheit vor einem nicht näher definierten Bösen, die Deepness, zu retten. Ihm scheint das gelungen zu sein, doch irgendwas ist dabei mit ihm passiert und er wurde zu einem grausamen Tyrannen. So ist die Gesellschaft im Final Empire in eine klare Zwei-Klassengesellschaft unterteilt. Es gibt die Adligen, eine Oberschicht und Skaa, eine Unterschicht, welche wie Sklaven und Pariahs behandelt werden. Letztere müssen für die Adligen auf Plantagen, in Schmieden oder anderweitig arbeiten. 
Geprägt ist die Welt auch von einigen klimatischen Besonderheiten. Es regnet sehr häufig Asche und nachts ist die Außenwelt von einem seltsamen Nebel überzogen. Pflanzen wachsen zwar noch, aber sind nicht mehr grün.
Neben den normalen Menschen gibt es eine bestimmte Gruppe, welche durch den Einsatz von Metallen bestimmte Fähigkeiten hat, die ihnen Vorteile verschafft. Das sind die Allomancer. Die meisten von diesen können nur ein bestimmtes Metall verwenden und werden Mistings genannt. Diejenigen, welche alle Metalle verwenden können sind die Mistborn und extrem selten. Dieses Magiesystem ist sehr logisch aufgebaut. Jedes Metall hat dabei als Partner eine Legierung, welche das Gegenteil bewirkt.
Im kurzen Überblick sind das:
Kupfer: verbirgt jemanden, der Allomantie verwendet
Bronze: registriert allomantische Impulse 

Zinn: verschärft die Sinne und Wahrnehmung
Hartzinn (pewter): vergrößert die körperliche Stärke und Ausdauer

Zink: verstärkt Emotionen eines anderen
Messing: vermindert die Emotionen eines anderen

Eisen: zieht nähere Metalle an
Stahl: drückt nähere Metalle weg

Verwendet werden diese Metalle durch alkoholische Lösungen in kleinen Phiolen, welche getrunken werden, sodass sich die Metalle dann im Körper befinden. Durch einen als "Verbrennen" bezeichneten Vorgang werden die Metalle verwendet, bis sie aufgebraucht sind. Sehr gut fand ich es, dass die Verwendung eines jeden Metalls auch ihre negativen Konsequenzen hat. Ein gutes Beispiel ist hier Zinn, welches zwar dabei hilft besser und auf größere Distanzen zu sehen, aber einen auch anfällig macht für laute Geräusche oder zu helle Lichtquellen.

Ausgangspunkt der Geschichte ist schließlich das Vorhaben eines gewissen Kelsiers das Final Empire und den Lord Ruler zu stürzen. Er selbst ist ein Mistborn und zu einer Legende unter den skaa geworden, weil er einziger aus den Minen von Hathsin entkommen konnte, eine Art Strafgefängnis des Lord Ruler für besonders schlimme Vergehen. Neben seinen Freunden bekommt er dabei unerwartet Hilfe von einer unscheinbaren Diebin, welche sich auch als Mistborn herausstellt.

Die Charaktere


Kelsier

Für mich war Kelsier in vielerlei Hinsicht der faszinierendste Charakter der Geschichte. Er hat ein unglaubliches Charisma, welches nie aufgezwungen, nervig oder fehl am Platze wirkte. Sein Plan wirkt zunächst größenwahnsinnig, er schafft es jedoch nicht nur die Zweifel seiner Crew zu beseitigen, sondern auch meine eigenen. Von Rückschlägen lässt er sich nicht unterkriegen und kämpft immer weiter, was ich wirklich bewundernswert an ihm fand. Er ist zudem kein moralisch einwandfreier Held. So hat er keine Probleme Mitglieder der Nobilität umzubringen, weil es jeder in seinen Augen verdient hat zu sterben, der das Final Empire am Bestehen aufrechterhält. Für diese sehr zweifelhafte Einstellung wird er aber auch von anderen kritisiert, unter anderem seinem Bruder Marsh und auch Vin.

Vin

Vin ist in vielerlei Hinsicht die Hauptperson der Handlung. Zunächst ist sie eine schüchterne, naive Diebin, welche sich am liebsten versteckt hält und extrem paranoid ist. Grund dafür ist die Misshandlung durch ihren Bruder und anderen Dieben. Und gerade weil ihr Bruder sie verlassen hat, traut sie absolut niemanden und glaubt, dass jeder sie früher oder später verraten wird.
Vin kommt, nachdem ich jetzt ewig lange miesgeschriebene Frauencharaktere in Fantasy-Werken hatte, sehr erfrischend rüber. Sie ist weder reines Love Interest, noch verfällt sie in den zickigen Frauencharakter (der besonders bei Wheel of Time auftritt) und auch obwohl sie sich plötzlich als eine sehr fähige Mistborn herausstellt fällt sie nicht in den Mary-Sue-Bereich, da ihr trotz Allomantie längst nicht alles gelingt. Besonders schön fand ich ihre Rolle als Spionin bei den Bällen der Nobilität, wo sie bald in ein moralisches Dilemma gerät, weil sie sich in einen von ihnen verliebt. 

Andere Charaktere

Kelsier und Vin sind zunächst - vom Prolog abgesehen - die einzigen POVs, doch es gibt auch noch zahlreiche andere interessante Charaktere. So gefiel mir Kelsiers Crew sehr gut. Der zynische Breeze, der philosophierende Ham, der mürrische Clubs und auch Dockson, sie gefielen mir alle und ihr Zusammenspiel hat mir auch sehr gefallen. Ihre Interaktion fühlte sich echt an, wie Freunde, die es ein Leben lang sind und die jetzt gegenseitig aufeinander vertrauen.
Besonders sympathisch ist mir Sazed geworden. Er ist ein Terrisman, welcher als Diener für Vin agiert, als sie ihre falsche Persönlichkeit als Adlige annimmt. Zunächst wirkt er unscheinbar, doch durch ihn erfahren wir viel über die Kultur von Terris und lernen eine neue Art der Metallmagie kennen. Die Feruchemy, welche es seinen Trägern erlaubt bestimmte Fähigkeiten in Metallen zu speichern, wobei hier nicht Metalle die Quelle sind, sondern der eigene Körper verwendet wird. Neben physischen Eigenschaften erlaubt es Feruchemie auch geistige Fähigkeiten zu speichern. So ist es die Hauptaufgabe der meisten Terrismen Wissen zu sammeln und einzuspeichern. Eine in meinen Augen sehr interessante Fähigkeit, welche der Crew ein ums andere mal bei ihrem Plan hilft.
Ähnlich sympathisch ist mir auch Elend Venture geworden, immerhin Erbe des mächtigsten Hauses in Luthadel, der Hauptstadt des Final Empire. Er verliebt sich in Vin und es stellt sich heraus, dass er die üblichen Ansichten der Nobilität bezüglich der skaa nicht teilt.
Die Antagonisten halten sich größtenteils im Hintergrund. Besonders bedrohlich wirken hierbei die Inquisitoren, welches Kreaturen sind, die speziell dazu ausgebildet sind Mistings und Mistborn zu finden und zu bekämpfen. Sie sind fast nicht zu töten. Und dann gibt es noch den Lord Ruler, welcher zwar auch kaum auftritt, aber seine Präsenz ist irgendwie beständig durch die Seiten hinweg zu spüren.

Der Stil

In der Hinsicht hebt sich das Werk nicht groß von anderen Fantasy-Werken ab. Es wird in POV-Form erzählt, größtenteils durch Kelsier und Vin. Es ist in fünf Teile unterteilt mit Prolog und Epilog und jeweils Unterkapiteln. Sowohl Sprache als auch Satzbau sind sehr einfach gehalten. Das fand ich sehr toll, denn es muss nicht immer hochkomplexe Fantasy sein. Und der einfache Stil trägt definitiv die Story voran.
Das mit Sicherheit interessanteste und kennzeichnendste Stilmittel sind in kursiv geschriebene kurze Einträge aus einem Tagebuch des Helden bevor er zum Lord Ruler wurde. Dasselbe Buch finden die Protagonisten auch später. Es ist interessant zu lesen, denn dort erleben wir einen Mann voller Selbstzweifel, der nicht weiß ob er seine Aufgabe wird erfüllen können und der hofft wirklich das Beste für die Menschheit zu erreichen. Das steht in scharfen Kontrast zu der unterdrückerischen Herrschaft des späteren Lord Ruler und lässt einen rätseln, wie es zu dieser Wandlung kommt. Den Twist dazu habe ich nicht kommen sehen, er ist aber letztendlich sehr logisch.

Großartige Momente (hier sind besonders die Spoiler zu finden)

So zum Abschluss noch eine Liste der großartigsten Momente in meinen Augen:
  • Kelsier bricht in Haus Venture ein und stiehlt Atium: Es ist das erste Mal, dass wir die allomantischen Fähigkeiten eines Mistborn in vollen Zügen zu sehen bekommen
  • Vin und Kelsier brechen in Kredik Shaw ein und werden beinahe von den Inquisitoren überwältigt
  • als die Skaa-Armee der Crew bei einem sinnlosen Angriff auf eine Kleinstadt verlorengeht, weil sie komplett getötet wird
  • die öffentlichen Exekutionen der Skaa
  • Vins Kampf gegen Shan Elariel
  • Kelsier wird durch den Lord Ruler getötet und es stellt sich heraus, dass er sich geopfert hat, damit die Skaa durch seinen Märtyrertod angestiftet rebellieren
  • die Inquisitoren übernehmen das Ministerium
  • es stellt sich heraus, dass der Lord Ruler nicht der namenlose Auserwählte aus den Tagebüchern ist, sondern der Packmann Rashek, welcher letztendlich die Rolle des Auserwählten eingenommen hat
  • Vin findet das Geheimnis des Lord Ruler heraus