Mittwoch, 8. März 2017

Wie kann Shardik ein Lieblingsbuch sein?

Nach reichlicher Überlegung habe ich mich doch anders entschieden und auf eine detaillierte Analyse der einzelnen Kapitel verzichtet. Es mangelte nicht an Material, aber ich denke es hätte den Lesefluss und meine Lesemotivation zu sehr gestört hier nach jedem Kapitel jede einzelne Szene zu interpretieren. Deshalb gibt es jetzt hier eine ausführliche Review.

Warum bezeichnet jemand dieses Buch als sein Lieblingsbuch? Es ist eine wahrlich ungewöhnliche Wahl, denn Shardik steht klar im Schatten seines weitaus bekannten Vorgängers Watership Down und ist einer größeren Leserschaft eigentlich nur durch eine Reminiszenz im Dunklen Turm-Zyklus von Stephen King bekannt. Zu groß ist die Diskrepanz zu seinem Vorgänger. Ist Watership Down ein netter Abenteuerroman mit Kaninchen, der jedoch verschiedene Thematiken wie Führerschaft, Vertrauen und Freiheit anspricht, die uns eine Tierart näher vertraut aber distanziert lässt, die sonst vielen Menschen egal ist; so ist Shardik eher als eine Allegorie auf die Vor- und Nachteile von Religion zu verstehen. Noch dazu bedient sich Adams einer ausschweifenden metaphorischen Sprache, die über und über aus Vergleichen besteht, die ein Zugang zu dem Werk schwierig macht. Auch die Charaktere bieten kaum Zugang, da sie zu fremd und distanziert wirken.

Genau Letzteres sind jedoch die Gründe, warum mir das Werk so gefällt und es in seiner Gesamtheit mein Lieblingsbuch geworden ist. Kelderek, der Hauptcharakter, ist keiner der gewöhnlichen Fantasy-Klischee-Charakter (gerne als Fantasy-Buch deklariert, steht es für mich jedoch außerhalb dieser Kategorie, trotz erfundener Welt), der aus einfachen Verhältnissen plötzlich zum Retter des Universums wird und dabei unglaubliche Fähigkeiten entwickelt, die er vorhin nicht kannte. Nein, Kelderek ist zu Beginn ein einfacher Jäger, wird dann durch die Ereignisse zu einem Priester Shardiks, schließlich sogar zum König, doch es bleibt deutlich, dass er aus einfachen Verhältnissen stammt und mit politischen Begebenheiten restlos überfordert ist. Ohne Probleme kann ihn jeder nach seinen Gutdünken manipulieren, sei es Ta-Kominion, Zelda, Ged-la-Dan oder später auch Elleroth, Kelderek wird nur aktiv, wenn es um Shardik geht, drückt sich jedoch vor jeder Verantwortung, die andere politische Dinge betrifft. So lässt er es zu, dass die Tuginda mit der er eng vertraut ist, von Ta-Kominion verhaftet wird, weil sie dessen Vorhaben - Bekla zurückzuerobern - nicht unterstützt, ohne dabei das Wort zu erheben. Stattdessen schlägt er sich sofort auf Ta-Kominions Seite, was einer Mischung aus Feigheit und weil er glaubt, Shardiks Absicht läge wirklich darin, dass die Ortelganer Bekla zurückerobern.
Später distanziert er sich von den Grausamkeiten seiner ortelganischen Untergebenen und hält sie für notwendig, will mit ihren Taten aber nichts zu tun haben. Das geschieht bei dem Erhängen der Kinder, um Santil-ke-Erketlis zum Gehen zu bewegen und bei der Eröffnung des Sklavenhandels. Er übernimmt keine Verantwortung dafür, bis er schließlich in den Händen des grausamen Sklavenhändlers Genshed mit beiden Taten direkt konfrontiert wird.
Kelderek bleibt also ein passiver, schwächlicher Charakter, der außer durch seinen Dienst an Shardik sich keinerlei politischer Verantwortung stellt und erst ganz am Ende durch seine Romanze mit Melathys und der Konfrontation seiner Taten, sowie einer zuvor albtraumhaften Verfolgung Shardiks, die ihm an den Rand der körperlichen und geistigen Erschöpfung bringt, kann er zumindest ein bisschen die Sympathien des Lesers erlangen. Somit haben wir keine leichte Hauptfigur zu der wir einen Draht aufbauen können, doch in meinen Augen ist Kelderek die absolut richtige Hauptfigur für dieses Werk, denn nur durch einen solchen einfachen, gottesfürchtigen, schwächlichen und leidenden Charakter kann sich die Intention des Autors äußern. Kelderek durchgeht alle Stufen des Glaubens von Hingabe zu Fanatismus, zu Selbstaufopferung, Leugnung, schließlich Hass und am Ende Erkenntnis.


Die Rolle Shardiks

Wenn auch Kelderek zweifelsohne der Hauptcharakter ist, so ist dennoch die zentrale Figur aufgrund derer alle Ereignisse mehr oder mindern so kommen wie sie kommen, Shardik. Der riesenhafte Bär bleibt dabei - im Gegensatz zu den Kaninchen in Watership Down - stumm und aus seinen Gedanken heraus wird nur der Anfang erzählt. Shardik nimmt dabei eine sehr ambivalente Rolle ein. Seine Erscheinung ist monströs, schrecklich und er verkörpert wie kein anderes Tier die wilde, unbezähmbare Natur. Oft genug tötet er jemanden. Doch er ist kein Tier aus einem klischeehaften Tierhorrorfilm, dass nur grausam und brutal gegenüber den Menschen auftritt. Genauer gesagt erregt er ziemlich schnell das Mitleid des Lesers. Schon am Anfang der Geschichte wird seine riesige, monströse Erscheinung dadurch herabgesetzt, dass er vor einem riesenhaften Feuer flieht, fast verbrennt und gleich darauf auch fast ertrinkt und sich nur durch Mühe und Not retten kann. Sofort bekommt er das Mitleid des Lesers und es ändert sich auch nicht für den Rest der Geschichte. Egal wie oft er jemanden tötet, angreift oder wütet, Shardik wird wesentlich brutaler verletzt und misshandelt. So trägt er, zunächst eingesperrt in einen notdürftig zusammengezimmerten Käfig eine Verletzung durch eine der Eisenstangen davon, später wird er dauerhaft verletzt bei dem Versuch ihn wieder einzufangen. Wie einer der armen Bären, die wir noch von früher aus manchen Zoos kennen, wird er in einen viel zu kleinen Käfig eingesperrt und leidet weiter. Er trägt noch weitere Verletzungen an Schulter und Nacken davon, bis er schließlich am Ende dem Tode nahe ist, ein ausgemergeltes Ding, ein Schatten seiner selbst und durch Genshed eigentlich nur den Gnadentod erhält.
Shardiks Geschichte ist eine Geschichte des Leidens im Namen einer Religion, die eigentlich dazu bestimmt sein sollte ihn zu verehren. Hier wird also die Perversion und Abnormität des Shardik-Glaubens deutlich, der seine ursprüngliche Glaubenslehre völlig verliert und erst am Ende zu einer einfachen wie genialen Erkenntnis kommt, um Shardiks sinnlosem Tod und Leiden doch noch einen Sinn zu geben. Feuer spielt dabei eine zentrale Rolle. Es ist ein Feuer, welches ihn zu Beginn des Buches fast umbringt; ein Feuer hilft ihm dabei aus Bekla zu fliehen und schließlich stirbt er durch einen brennenden Pfeil. Zum Abschluss wird sein Leichnam auch noch auf einem Floss verbrannt und den Fluss hinabgetrieben. Dadurch schließt sich auch anderweitig sein Kreis. Vor einem Feuer fliehend kam er zu dem Telthearna, der ihn nach Ortelga und zu Kelderek brachte und über den Telthearna verlässt er brennend die Geschichte.
Shardiks Verhalten ist dabei kaum einheitlich und für einen Bären untypisch. Er tötet eher zufällig. So verschont er tagelang die Priesterinnen, die ihn mit dem Gesang unterstützen und tötet dann völlig unerwartet Ankray. Bei der Expedition der Ortelganer gegen Bekla tötet er ausgerechnet einen Spion und auf dem Schlachtfeld tötet er mit Gel-Ethlin und den anderen Offizieren zielgerichtet die Heerführer und er möglicht so den Sieg der Ortelganer. Weitere Opfer sind schließlich ein Soldat bei seinem Ausbruch aus Bekla, ein Priester der Streels von Urtah, der ihn töten will; Bled, den verrückten Aufseher Gensheds und schließlich Genshed selbst. Auffallend dagegen ist wen er verschont. Kelderek nähert sich ihm oft, doch nur ein einziges Mal verletzt er ihn und auch zum Schluss geht er auf Genshed los und nicht auf die Kinder, die ihm eigentlich völlig wehrlos ausgeliefert sind. Shardiks Verhalten wirkt also durchaus, als würde es eine bestimmte Intention verfolgen und nicht der zufälligen Wildheit eines Bären entsprechen, dennoch bleibt offen, ob Shardik wirklich göttlich ist oder das nur von den anderen in sein Verhalten hineininterpretiert wird.
Ich denke Shardik ist nur ein Bär, der ohne es zu wollen in die Ereignisse hineingezogen wird und für die Unwissenheit, den Fanatismus, die Ängste und deren Ambitionen einen hohen Preis zahlen muss.

Wer ist eigentlich der Antagonist?

Wenn mir etwas imponiert an Shardik, dann das bis zum Auftreten Gensheds (auf Seite 443) es keinen wirklichen Antagonisten gibt. Es ist nicht Bel-ka-Trazet, der zunächst Shardik feindlich gegenübersteht, weil er durch ihn alles in Gefahr sieht, was er für Ortelga aufgebaut hat und Kelderek bei seiner ersten Begegnung fast umbringt. Doch Bel-ka-Trazet stellt sich als ein fähiger, kompetenter und charismatischer Herrscher heraus mit einer traurigen Vergangenheit, der genau weiß was für sein Volk gut ist und somit in dem erneuerten Glauben an Shardik eine klare Gefahr sieht, die sich so auch bewahrheitet. Er erkennt die Autorität der Tuginda an, ist machtlos bei der Rebellion Ta-Kominions und landet schließlich Zeray. Dort schafft er es aus der kriminellen, anarchischen Stadt halbwegs die Ordnung herzustellen und erkennt das Potential dieses von allen vergessenen Landes, kommt jedoch nicht mehr zur Vollendung seiner Pläne - das übernehmen dann Kelderek und Melathys. Nein, Bel-ka-Trazet ist sogar eher ein Protagonist und für mich auch sympathischer als Kelderek.
Ta-Kominion wäre der nächste Kandidat, denn er ist verantwortlich für die fatalsten Ereignisse. Als junger, ambitionierter Baron sieht er in Shardik die Chance, dass die Ortelganer wieder in Bekla herrschen. Dafür gewinnt er sehr schnell Kelderek und sogar anfang die Tuginda, bis diese seine Absichten durchschaut. Danach lässt er sie verhaften und dennoch bleibt Kelderek ihm treu, insgeheim plant der ambitionierte Ta-Kominion jedoch schon ihn auszuschalten, da er ihn für seine Herrschaft in Bekla wahrscheinlich nicht braucht. Eine entzündete und eiternde Wunde macht schließlich jedoch seine Pläne zunichte und er wird ironischerweise durch Shardiks Käfig endgültig getötet. Sein Vorhaben setzen dann Kelderek, Zelda und Ged-la-Dan in die Tat um. Ta-Kominion verschwindet also wieder, ehe er zu einer wirklichen antagonistischen Partei werden kann.
Dann wäre der genial, jedoch nie in der Geschichte auftretende General Santil-ke-Erketlis. Tatsächlich wirkt er wie ein Antagonist, doch sein Auftreten und seine Ziele lassen ihn kaum wie einen Feind wirken. Auf barbarische Art wird er aus Bekla verdrängt (das Hängen der Kinder) und führt in der Folgezeit die Rebellion gegen die Ortelganer an, besonders in der Bekämpfung des Sklavenhandels. Das Ziel eine grausame Praxis, das Versklaven von Kindern zu verhindern, dürfte kaum zur Abneigung seitens des Lesers führen. Und auch durch seine Beschreibung durch die anderen wirkt er eher wie ein zweiter Bel-ka-Trazet: kompetent, charismatisch und gegenüber seinen Untergebenen als ein weiser Anführer, der seine Versprechen einhält und sie würdig belohnt.
Auch Elleroth passt da nicht hinein. Seine schlimmste Tat, den Versuch Shardik umzubringen ist aus einer absolut verständlichen Notlage herausgeboren, er will den Krieg schnell beenden, sodass er in der Lage ist, seinen Sohn aus den Händen Gensheds zu befreien, ehe dieser Terekenalt erreicht. Er erntet sogar leichte Sympathien, als er eher unbeabsichtigt Shardik befreit und auch wenn er später in Kabin noch Feind von Kelderek ist, so wird er spätestens als dieser auf Radu trifft und beide aus den Händen Gensheds befreit werden, zu einem sympathischen Charakter. Allgemein ist sein Auftreten ähnlich dem des zurückgezogenen Santil-ke-Erketlis, er ist charismatisch, gut, kompetent und fair gegenüber seinen Untergebenen.
So bleibt wirklich nur Genshed, der grausamste der Sklavenhändler. Als ehemaliger Gehilfe des Henkers hat er ein sadistisches Vergnügen daran entwickelt andere Menschen leiden zu sehen, doch das ist nicht seine größte Freude, seine größte Freude ist es Menschen mental zu brechen, ohne dabei selbst große Hand anzulegen. Er verkörpert das grausamste und schlimmste dieser schrecklichen Praxis des Kindersklavenhandels. Sein Tod erst beendet den Konflikt der Geschichte und eröffnet die Erkenntnis, was Shardiks Absicht auf Erden war. Zwar spät eingeführt, hinterlässt er dennoch einen bleibenden Eindruck. Sharas Tod gehört zu eine der schrecklichsten Ereignisse, die ich je gelesen habe, da er so sinnlos und unnötig grausam wirkt, der Tod eines unschuldigen, kleinen Kindes. Es ist der einzige Antagonist, den dieses Werk verdient hat: kein grausamer Herrscher oder General, sondern ein Sklavenhändler, denn darum ging es Adams. Die Grausamkeiten dieser Praxis dem Leser näherzubringen. Und doch ist wie alle Probleme in diesem Buch, Genshed als Antagonist durch die Ortelganer und Kelderek selbst verursacht. Sie haben den Sklavenhandel eingeführt und es dabei auch illegalen Händlern wie ihm ermöglicht, tätig zu werden. Sieht man es also genauer verkörpert Kelderek und die Ortelganer eine ambivalente Doppelrolle von Protagonisten und Antagonisten. Kelderek ist für sein Leiden selbst verantwortlich.

Die Rolle von Religion

Bis jetzt hat es kein Werk so perfekt geschafft mir die Vor- und Nachteile von Religion aufzuzeigen wie dieses. Das ist der Hauptgrund, warum es mein Lieblingswerk geworden ist, denn dieser Blick hat mir als bekennender Konfessionsloser lange Zeit gefehlt.
Durch die Priesterinnen von Quiso und besonders die Tuginda haben wir zunächst die Religion als Berufung. Sie stellen ihr ganzes Leben in den Dienst von Shardik und jede Praxis ist ihm gewidmet, ähnlich wie es bei Pfarrern, Imamen, Rabbis oder eben Priestern im Allgemeinen ist. Die Tuginda verkörpert dabei den Urglauben, der vor langer Zeit verschmutzt wurde, das Reine und Unbefleckte eine Religion. Sie zeigt, dass die Religion im Grunde eine Gute ist und nur Gutes bewirken will. Sie zeigt, dass Religion nicht dazu bestimmt ist, Andersgläubige auszugrenzen, das Vergebung zu einer jeden Religion dazugehört, das jeder Mensch, egal wer er ist, gleichbehandelt werden soll und das Gewalt zu keine Religion gehört. Das äußert sich beispielsweise in den Heilkünsten der Tuginda, die als gute Heilerin jedem ihre Therapie anbietet, ihre Vergebung äußert sich nicht nur darin, dass sie Kelderek dessen Verrat verzeiht, sondern auch den halbverrückten Kriminellen Ruvik pflegt und für ihn ein gutes Wort einlegen will, sobald sie das Land jenseits des Vrako wieder verlässt. Dennoch weiß sie sich auch zu schützen, was der Zauber von Quiso belegt.
Ta-Kominion hingegen sieht in dem Glauben an Shardik eher das Mittel zur Durchsetzung politischer Interessen. Er verkörpert damit den Machtaspekt. Sein Plan zur Eroberung Beklas kann leicht mit den Kreuzzügen oder der Expansion des Islam verglichen werden. Missionierung wird dabei auch genutzt. Bereits dieser Glauben enthält jedoch schon eine Abkehr vom ursprünglichen Shardik-Glauben, denn um dahinzukommen muss Shardik eingepfercht werden und schließlich wird er gegen seinen Willen in Bekla gefangenhalten, um die Herrschaft Keldereks bzw. Crendrik zu legitimieren. Aus dieser Abart entspringen schließlich der Krieg gegen Santil-ke-Erketlis, der Sklavenhandel und Shardiks Glaube wird für Nichtgläubige nicht nur als eine barbarische Tierreligion angesehen, sondern auch als grausame, brutale Religion. Ähnlich wie viele aufgrund von Terroristen und Fundamentalisten den Islam oder das Christentum verabscheuen.
Bel-ka-Trazet sieht in der Religion eher eine pragmatisch-mythische Komponente. Sie ist von Vorteil, wenn die Leute daran glauben, es ist jedoch besser, wenn Shardik ein Mythos und Legende bleibt. Damit kann er sich jedoch nicht durchsetzen und wird somit aus einer Position verdrängt. Eine ähnliche Rolle nimmt das Christentum heutzutage ein, denn ähnlich wie der Shardik-Glaube, glauben viele an die Wiederkehr von Jesus.
Kelderek verkörpert alle diese Aspekte zusammen. Er ist zunächst sehr gläubig, weiß was die Erscheinung des Bären zu bedeuten hat und setzt sich trotz Todesgefahr durch Bel-ka-Trazet durch, dieses Geheimnis nur der Tuginda zu verraten. Schließlich akzeptiert er, dass er ein Prophet von Shardik ist und dessen Oberpriester wird durch die Tuginda. Bald jedoch glaubt er den fanatischen Gedanken von Ta-Kominion und beginnt selbst damit den Shardik-Glauben umzuformen. Zumindest erkennt er an, dass Shardik ein großes Geheimnis noch zu enthüllen hat, was er jedoch nicht erkennt und auch den Grund dafür scheint er zu wissen: er hat den Glauben an Shardik verraten, will sich das jedoch nicht eingestehen und hofft dennoch auf die große Wahrheit zu stoßen, was ihn jedoch hemmt und bald schwer belastet. Seine Hingabe und seine Aufopferung für Shardik wird schließlich deutlich, als er ihm durch die Beklanische Ebene folgt. Das verändert sich schließlich zu langsamer Distanziertheit, als er erkennt, dass Shardik ihm alles genommen hat, was er hatte und er nur noch den Wunsch verspürt zu sterben. Durch die Begegnung mit der Tuginda kommen alte Schuldgefühle wieder zum Vorschein, durch seine Begegnung mit Melathys wendet er sich jedoch endgültig vom Shardik-Glauben ab, weil er etwas Neues im Leben gefunden hat und glaubt er habe sich sowieso als Priester Shardiks unwürdig gezeigt. Somit ist es wenig verwunderlich, als Shardik überraschend wieder auftaucht, dass seine Einstellung zu Shardik zu Hass und Abscheu wird, weil er seinem Glück ihm Weg steht und er glaubt alles Leiden, was er hat, ihm zu verdanken. Das mündet schließlich in die Gefangenschaft durch Genshed. Erst als dieser von Shardik getötet wird, wobei dieser dabei Kelderek rettet, erkennt Kelderek, dass es nie der Bär war, der das Leid verursacht hat, sondern fehlgeleitete Menschen wie er selbst. Er erkennt dessen geheiligten Tod an und kann dann schließlich doch eine einfache wie wichtige Erkenntnis daraus schließen: Shardik starb für die Kinder, das Seelenheil der Kinder ist wichtig.

So wird, was Adams sehr geschickt anstellt durch einen Vertreter eines fremden, höherentwickelten Volkes uns die Ergebnisse präsentiert, die Kelderek und Melathys aus dem Tod Shardiks gezogen habe: Kein Kind soll mit Unglück und Leid aufwachsen, wenn es nicht gewollt wird, und so holen sie Hunderte von ihnen nach Zeray zum Arbeiten aber auch zum Spielen und Erziehen. Die grausame Geschichte endet hier mit einer fast schon utopischen Aussicht. Kelderek und Melathys ehren Shardiks Andenken und haben aus seinem sinnlosen Tod eine sehr positive Botschaft gezogen, die so einfach wie auch genial ist. Gerade Siristrou erkennt gut, was wohl auch der Leser denkt: ihr Glaube ist zwar ein primitiver und zweifelsohne heidnischer, aber die Erkenntnis diese darausgezogen haben ist an Humanität eigentlich nicht zu übertreffen und daher einfach nur wunderbar. In der letzten Szene, als Siristrou im Feuer die Bilder sieht, die diesen Roman so bestimmt haben, deuten da für mich daraufhin, dass auch er bereits von diesem neuen Shardik-Glauben angesteckt wurde und bald auch bekehrt ist und diesen Glauben mit zurück in sein Königreich nimmt.
Darin äußert sich die Genialität von Shardik. Am Ende einer Geschichte voll von religiösen Missverständnisse, grausamen Eroberungen, Brutalität, Misshandlungen von Kindern und einer nahezu durchgehend düsteren Grundstimmung, steht ein so positives Ende, welches jedoch nicht wie ein kitschiges Märchen-Happy-Ending wirkt, sondern tatsächlich auch für unsere Gesellschaft eine Lösung präsentieren könnte. Vermutlich sind wir noch nicht so weit, wenn noch immer im Namen von Religionen Kriege und andere schlimme Verbrechen begangen werden, Andersgläubige ausgegrenzt oder verfolgt werden. Adams zeigt jedoch, dass es möglich ist, dass trotz all diesen Leidens am Ende eine positive Botschaft aus allen Religionen gezogen werden kann, wodurch die Menschen in Frieden und Eintracht miteinander leben. Diese Botschaft ist so einfach: Kinder sind die Zukunft und sollten nicht ungeliebt aufwachsen. Und deshalb ist dieses Buch ein literarisches Meisterwerk und nicht nur das Lieblingswerk des Autors, sondern auch mein Lieblingsbuch.