Samstag, 26. November 2016

Watership Down Kapitel 6: The Blessing of El-ahrairah

Das folgende Kapitel dürfte eines der bekanntesten sein von Watership Down und es ist meiner Ansicht nach auch eines der bestgeschriebenen. Adams geht das Wagnis ein mythologische Geschichten in die eigentliche Handlung quasi als Exkurse mit hineinzunehmen. Das ist riskant für einen Schriftsteller, denn sind solche Passagen nicht interessant, so empfindet der Leser solche Abschweifungen schnell als langweilig und überflüssig, was ihn durchaus aus der eigentlichen Handlung herausbringen kann. Adams geht diese Wagnis ein und schafft es, dass seine eher bis dahin klein angelegte Kaninchengeschichte die Komplexität einer großen Geschichte erreicht. Die Schöpfungsgeschichte der Kaninchen ist originell und erfrischend, gerade weil El-Ahrairah keine klassische Gründergestalt ist.

Ein Zitat von William Butler Yeats aus A Young Woman and Old ist der ganzen Gründungsgeschichte vorangestellt. Yeats ist einer der bedeutendsten und bekanntesten Dichter der englischsprachigen Literatur. Für seine Gedichte bekam er sogar 1923 den Literaturnobelpreis. Die Themen seiner Gedichte und Werke sind angelehnt an die keltische Mythologie und die irische Geschichte. Also ein durchaus passendes Zitat eines großen Literaten, welches Adams hier voranstellt.

Wir bekommen zunächst eine klassische Schöpfungsgeschichte zu hören, welche der alttestamentlichen nicht ganz unähnlich ist. Eine Gottheit Frith hat die ganze Welt geschaffen, alle Sterne und die Erde als eine der Sterne. Mit Frith ist im übrigen die Sonne gemeint, was auch an gewissen Zeitausdrücken der Kaninchen deutlich wird. Die Sonne wurden in vielen antiken Religionen als Gottheit angebetet, am bekanntesten ist womöglich die Sonnenscheibe Re im Ägyptischen, aber auch der griechischen Religion begegnet uns die Sonne durch Helios als Gottheit, noch präsenter ist sie aber durch Apollon, dem Gott des Lichts. In der persischen ist es Mithras, bei den Azteken taucht Huitzilopochtli als Sonnengott und Schutzgottheit der Hauptstadt Tenochtichtlan auf. Es gibt noch zahlreiche weitere Beispiele. Die Sonne als Lebensspenderin, aber auch als Zerstörerin von Leben ist damit nur eine allzu logische Wahl für eine "Religion" der Kaninchen.
Interessant ist hierbei der Aspekt, dass sich die Kaninchen der Erde als ein ganzes bewusst sind und ihre Existenz auf solche Weise verorten können. Natürlich spiegelt sich hier die menschliche Betrachtungsweise am stärksten wieder, denn ich glaube kaum, dass sich ein Kanichen in freier Wildbahn wirklich bewusst ist, was die Erde eigentlich ist. Für ein solches wird nur das Terrain, wo es lebt, bewusst sein.
Frith hat nebenbei aus seinen Hinterlassenschaften Gräser und Wälder gebildet, die deshalb auch so dicht beieinander wachsen. Eine zunächst sehr amüsante Vorstellung, welche jedoch andeutet, dass die Kaninchen sich der Tatsache bewusst sind, dass aus Kot und Dung Nährstoffe entstehen, welche das Gras wieder wachsen lässt. Wieder eine Erkenntnis, die jedes reale Wildkaninchen weit weit überfordern müsste.
Auch interessant ist die Deutung der Flüsse und Bäche, welche sich zu Frith hingezogen fühlen und ihm folgen. Das würde bedeuten es gäbe nur Flüsse und Bäche in Ost-West-Richtung. Natürlich dürfte das selbst einem Kaninchen (in Watership Down) auffallen, dass die Flüsse sich nicht immer in Ost-West-Richtung bewegen. Das lässt nur einen Schluss zu. Frith bewegte sich zu Beginn ziellos und nicht in genauen Bahnen über die Erde.

Zentrales Thema ist schließlich, dass Frith zunächst alle Tiere und Vögel gleichgemacht hatte. Alle lebten in Harmonie und Eintracht und ernährten sich von Gras wie Fuchs und Kaninchen. Und es gab genügend Gras, weil Frith immer am Himmel erschien. Auch hier eine sehr interessante Herangehensweise, welche jetzt doch von den Vorstellungen der abrahamischen Religionen ein Stück abweicht. Frith hat sich kein Wesen nach seinem Ebendbild geschaffen (die Menschen tauchen in dieser Schöpfungsgeschichte gar nicht auf), sondern er hat sie alle gleichgemacht.
Unter den Kaninchen ist der mächtigste El-ahrairah, er hat viele Weibchen und ist damit der Vater aller Kaninchen. Okay, jetzt rede ich doch etwas über Gender-Problematiken und Feminismusprobleme. Am Anfang der Kaninchen steht also nicht wie in der alttestamentarischen Überlieferung Adam und Eva, sondern ein einzelnes, männliches Kaninchen, welches einem mächtigen Sultan gleich über einen Harem verfügt und der Vater von allen Kaninchen ist. Tatsächlich bleiben die Weibchen hier weitgehend außen vor und sind nicht näher bestimmt.
Jedoch stellen die Kaninchen Frith bald vor Probleme, denn sie vermehren sich rasant und breiten sich überall aus, sodass sie bald das ganze Gras weggefressen haben. Hier wird sehr deutlich auf wirkliche Kaninchenplagen angespielt, welche es besonders in Australien gegeben hat, als die Tiere durch die Europäer eingeführt wurden und weil sie keinerlei Fressfeinde besaßen sich rasant vermehrten und zu einer regelrechten Plage wurden. In der Mythologie sehen sich die Kaninchen jetzt auch aufgrund ihrer hohen Fruchtbarkeit rasant über den ganzen Erdball vermehren, was ihnen jedoch zum Verhängnis wird.
Frith ist davon nämlich gar nicht begeistert und bittet El-ahrairah darum, sein Volk im Zaum zu halten. El-ahrairah antwortet jedoch hochmütig: "My people are the strongest in the world, for they breed faster eat more than any of the other people." So würden sie ihre Zuneigung zu Frith ausdrücken, weil sie seine Gaben am besten zu schätzen wissen.
Darüber ist Frith natürlich sehr erbost und jeder Bibelfeste dürfte wissen was ein zorniger Gott zu bedeuten hat. Frith entscheidet sich dagegen El-ahrairah für seine Frechheit zu töten, weil er ihn wegen seinen Witzen und seinen Tricks noch braucht. Stattdessen trickst er El-ahrairah selbst aus und entscheidet sich dafür, jedem Tier eine andere Eigenschaft zu geben, sodass sie voneinander unterschiedlich sind. Dazu beruft er sie alle zu einer großen Versammlung ein, nennt jedoch jedem Tier eine andere Zeit. Und so gibt er gerade dem Fuchs, dem Wiesel und dem Hermelin spitze Zähne, scharfe Sinne und das Verlangen die Kinder von El-ahrairah zu jagen und zu fressen.
Das ganze beinhaltet ein sehr interessantes Konzept: ähnlich wie die christlichen Menschen führen auch die Kaninchen ihr ganzes Leiden auf eine gewisse "Erbsünde" zurück. Aufgrund der Frechheit von El-ahrairah sind sie beständig Gejagte auf dieser Welt und haben ihr sorgenfreies Leben verloren. Dennoch wird El-ahrairah bei ihnen verehrt für das was der dann macht.
Interessanterweise sind damit die Kaninchen verantwortlich für die Diversität der Tiere und zwar für alle Eigenarten, die es in der Natur gibt. Wie es sich vereinbart, dass es Pferde und Kühe gibt, welche viel mehr Gras fressen als Kaninchen, obwohl die Kaninchen dafür bestraft worden sind würde aber jetzt zu weit führen. Denn in jeder Mythologie stellt sich natürlich derjenige in den Mittelpunkt, der die Mythologie überliefert und deshalb sehen sich die Kaninchen am Ausgangspunkt dieses so überaus wichtigen Ereignisses.

Durch die Schwalbe erfährt El-ahrairah, welcher gerade auf seinem Weg zum Treffen mit Frith ist, dass Fuchs, Wiesel und die Katze aufgrund ihrer neuen Eigenschaften seine Nachkommen jagen und töten. Da bekommt El-ahrairah Panik und will sich verstecken als Frith erscheint, denn er befürchtet selbst zum Opfer von Fuchs und Wiesel zu werden. Er gräbt sich in ein Loch ein und als Frith zu ihm spricht, schaut nur sein Hinterteil heraus. Frith fragt ihn nach El-ahrairah, doch El-ahrairah verneint es er selbst zu sein und weigert sich auch aus dem Loch zu kommen, um gesegnet zu werden. Wenn Frith ihn segnen will, dann soll er sein Hinterteil segnen. Frith erfüllt ihm diesen Wunsch mit folgenden Worten: "Bottom, be strength and warning and speed for ever and save the life of your master." El-ahrairahs Hinterteil leuchtet wie eine Blume, spürt wie seine Hinterbeine länger werden und kann schneller über die Hügel flitzen als jedes andere Tier. Eine schöne, nette Erklärung, warum die Schnelligkeit der Kaninchen im hinteren Bereich ihres Körpers liegt. Bekanntermaßen auch ein Motiv, dass die Segnungen davon abhängen in welcher Stellung sich die entsprechende Figur befand als sie von der Gottheit gesegnet wurde. Besonders häufig taucht das in der griechischen Mythologie auf.
Vorher erfahren wir in einem kleinen Zwischeneinschub, dass diese Geschichte in jedem Kaninchenbau erzählt wird, egal ob im kalten Winter oder den schönen Sonnenmonate. Jedes Kaninchen schöpft aus der Geschichte Mut und vergisst seine eigene Ängstlich- und Müdigkeit wie Pipikin beispielsweise in dem Moment. Sie fühlen sich wie El-ahrairah, das einzige Wesen welches Frith verärgern konnte und dennoch einen Vorteil daraus zog. Das beweist auch, dass die Geschichte von El-ahrairah im Bewusstsein aller Kaninchen verankert ist, ein Konzept welches auf die Menschen übertragen völlig absurd wäre. Da jedoch Adams bald deutlich macht, dass diese Mythologie im Kontext der Geschichte der Wahrheit entspricht, so ist es leicht verständlich warum jedes Kaninchen von El-ahrairah weiß, obwohl sich manche Kaninchengehege mehrere Meilen auseinander befinden, sogar über die ganze Welt verstreut.

Beendet wird die Geschichte dann mit den Worten Friths, welche wohl das bekannteste Zitat von Watership Down sind (hierbei besonders durch den Film geprägt): "El-ahrairah, your people cannot rule the world, for I will not have it so. All the world will be your enemy, Prince with a Thousand enemies, and wherever they catch you, they will kill you. But first they must catch you, digger, listener, runner, prince with the swift warning. Be cunning and full of tricks and your people shall never be destroyed."
Tatsächlich ein überaus ikonischer Sinnspruch, welchen sich sogar schon Leute tätowiert haben. Er drückt alles aus was das Leben eines Kaninchens ausmacht. Die ständige Gefahr, jedoch auch die Möglichkeit diesen Gefahren aus dem Weg zu gehen. Daher erklärt sich auch die Wichtigkeit von El-ahrairah für die Kaninchen. Nur wenn sie so listig und schlaut sind wie er, haben sie eine Chance zu überleben. Im Laufe der Geschichte werden wir noch Kaninchen begegnen, welche von diesem Leitspruch abgegangen sind und nicht mehr an El-ahrairah glauben. Es ist spannend zu sehen wie Hazels Gruppe mit ihnen agiert und was ihr Schicksal sein wird.
Zum Schluss wird noch eine Erklärung gegeben warum Kaninchen dämmerungsaktiv sind. Denn jeden Abend kommen sie hervor, wenn Frith seine Arbeit für den Tag getan hat und fressen und spielen in seiner Gegenwart, weil sie Freunde sind und weil er versprochen, dass er sie nie zerstören wird. Eine schöne Erklärung durch welche der Urmythos der Kaninchen beendet wird und Anschluss findet an alle heute lebenden Kaninchen.